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Ein amüsanter Blick auf das Leben

ALLTAG ALS INSPIRATION
Wilma Roth aus Steinheim gestaltet Kunst mit einem Augenzwinkern

 


Große Ehrfurcht vor der Kunst ist in der Galerie von Wilma Roth fehl am Platz. Auch der Blick für umständliche künstlerische Interpretationen ist nicht zwingend nötig, wenn man ihre Werke betrachtet, wie die Wahl-Steinheimerin betont. Es ist viel mehr die Freude oder das Amüsement an ihnen, was für sie zählt. Denn: So bodenständig wie Wilma Roth selbst ist, so spiegelt sich die Themenvielfalt in ihrer Kunst wider. Sie stammt größtenteils aus dem Alltag und bildet das ab, was Wilma Roth spannend findet. Zwischen Arbeit und Haushalt, zwischen Handeln und Hektik, Momenten der Ruhe und Tagträumen, zwischen menschlichen Zusammentreffen und Eindrücken entsteht ihre Kunst. „Ich beobachte gerne Situationen im Alltag und überlege mir dann Themen und Überschriften, unter denen ich meine Kunst entwerfen möchte", beschreibt sie, hält kurz inne und lächelt: „Ich frage mich immer: ,Was amüsiert mich?' und dann beginne ich mit meinem nächsten Projekt."

Der Reiz an Menschen, Tieren und Objekten

Egal ob Menschen, Tiere oder Objekte: Eine feste Präferenz verfolgt Wilma Roth nicht. Doch wenn sie ihre Vorlieben zusammenfassen müsste, dann seien es vor allem die Haltungen, verschiedenen Charaktere sowie die Körpersprache der Menschen und Tiere, die sie nach vielen Jahren immer noch reizten. Zunächst im Kleinen begonnen, entwickelte sich ihre Neigung zum künstlerischen Gestalten immer weiter. „Früher organisierten mein Mann Detlef Weygand und ich rund fünf bis sechs Ausstellungen im Jahr", erinnert sie sich und ergänzt: „Weit über 100 Künstler aus ganz Deutschland haben in unserer Galerie ausgestellt." Ihr Anwesen, inmitten in der Steinheimer Altstadt gelegen, bildet den Ankerpunkt ihres künstlerischen Daseins. Vor rund 15 Jahren erwarben die beiden gemeinsam das ehemalige Stadtwirtshaus, dessen Geschichte sich bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen lässt. In Eigenregie und mit viel persönlichem Einsatz sanierte das Paar das Kulturdenkmal. Schon zu Beginn stand die Frage im Raum, was sie mit dem großen ehemaligen Bewirtungsraum machen wollten. „Mein Mann meinte dann, dass das der ideale Ort für eine Galerie sei", erzählt Wilma Roth, die im Jahr 1958 im Rheinland geboren wurde. Knapp ein Jahr nach Erwerb des Hauses eröffneten sie die Galerie, die bis heute ihr gemeinsames Projekt ist. Hessen nennt Wilma Roth jedoch schon länger ihre Heimat. Nachdem sie an der Fachhochschule in Köln Soziale Arbeit studierte, zog sie 1978 Über Frankfurt nach Offenbach-Rumpenheim und sehnte sich nach einer kreativen Tätigkeit.
„An der Modeschule in Frankfurt habe ich dann im Anschluss an eine Schneiderlehre ein Studium für Modedesign begonnen", berichtet sie. Durch einen Zufall und ihre vorangegangenen Ausbildungen erhielt sie einen Referendariatsplatz an der Willy-Brandt-Schule in Gießen, anschließend ging es an die Käthe-Kollwitz-Schule in Offenbach, an der sie von 1992 bis vergangenes Jahr unterrichtete. „Die Kunst hat mich mein Leben lang begleitet, auch wenn ich aus einer Familie stamme, die so gar nichts damit am Hut hat", lacht sie. Lange Zeit war sie Mitglied im Rumpenheimer Kulturverein und profitierte vom künstlerischen Austausch untereinander und den zahlreichen Ausstellungen, die sie dort mitgestaltete. „Es war eine wirklich schöne Zeit."

Authentizität und Leichtigkeit

Ihre Leidenschaft speziell für das plastische und figürliche Arbeiten entstand vor rund zwölf Jahren. Die Materialien, mit denen die 63-Jährige heute arbeitet, sind vielseitig. Am liebsten sind ihr jedoch Ton und Beton. „Ton mag ich roh gebrannt und unglasiert - einfach so natürlich strukturiert wie er ist. Beton fasziniert mich dagegen aufgrund seiner besonderen und unerschöpflichen Verarbeitungs- und Gestaltungsmöglichkeiten", schwärmt Wilma Roth und ihre Augen beginnen zu leuchten. Gerne spielt sie mit Kombinationen aus gegensätzlichen Materialien wie beispielsweise Beton und Pappmaché oder Ton und textilen Materialien beziehungsweise besonderen Papieren. „Die Herausforderung, Schwere und Leichtigkeit zu kombinieren, hat es mir angetan." In einem eigenen Ofen im Atelier brennt sie ihre Werke. Die Reise bis dahin ist wie eine Achterbahnfahrt, beschreibt sie den Entstehungsprozess. Von der Themenfindung und Recherche geht es über die künstlerische sowie handwerkliche Umsetzung bis hin zur passenden Präsentation und den Eindrücken, welche die Besucher der Galerie erleben. Da kann es schon einmal vorkommen, dass eine Figur, die ihr nicht gefällt, wieder zu einem Tonklumpen zusammengedrückt wird, aus dem sie etwas Neues formt. Authentizität ist ihr sehr wichtig - ohne etwas aufzusetzen, was nicht ist.

Wirkliche Personen und Eindrücke, aber stets verfremdet

Zu einer ihrer Lieblingsreihen gehört beispielsweise „Warten". Wo warten Männer? Wo warten Frauen? Was sagt die Körperhaltung über den wartenden Menschen aus? Kann man das Warten genießen? All diese Fragen hat sich die Steinheimer Künstlerin gestellt, bevor sie sich an die Arbeit machte. „Wartende Menschen sind leicht zu beobachten, vor allem wartende Männer in einem Kaufhaus. Mein Mann ist auch so jemand, der das Warten im Geschäft einfach schrecklich findet" Mit jedem Thema setzt sich Wilma Roth intensiv auseinander, betreibt Recherche und lässt sich viel Zeit, um ihre Vorstellungen auszuarbeiten. „Beim Thema ,Warten' war mir die Körperhaltung sehr wichtig, weshalb ich mir auch anatomische Begebenheiten, den Muskel- und Skelettaufbau angeschaut habe. Die Proportionen meiner Figuren, auch die der Tiere, müssen stimmen." Eine weitere Reihe, die sie zu ihren Favoriten zählt, ist die der ,artgerechten' und ,eigenartigen' Tierhaltungen". Dabei stehen zwei unterschiedliche Aspekte im Blickpunkt: Welche Haltungen haben Tiere und wie halten Menschen ihre Tiere? Oder ihre „Heimatheiligen", zu denen sie sich von den in Stein gehauenen Heiligenfiguren ihrer katholischen Heimatgemeinde hat inspirieren lassen. Dort gab es die sogenannten Nothelfer, die zur Abwehr bestimmter Notlagen zuständig waren. An diese Nothelfer angelehnt, entwarf sie Figuren mit Menschen aus ihrer alten und neuen Heimat, mit denen sie schöne und bedeutende Momente verbindet und die für Glücksmomente sorgten. „Das war der Eisverkäufer, unser netter Briefträger, die Inhaberin des Lebensmittelladens oder auch einfach die Schulfreundin. Natürlich habe ich diese Personen nicht eins zu eins übernommen, sondern verfremdet. Aber sie basieren auf realen Menschen und Erlebnissen." Wenn sie etwas reize, dann gehe sie komplett darin auf. „Manchmal muss ich mich dann selbst ausbremsen und einmal ,Stopp' sagen, damit ich irgendwann fertig werde", sagt sie.


Vorbilder, Wegbegleiter und Perspektiven - auch in schweren Zeiten

Zu ihren Vorbildern zählen nicht nur Bildhauer wie August Gaul oder Waldemar Otto, sondern auch Schriftsteller wie Erich Kästner, Heinz Erhard oder die bereits verstorbene Künstlerin Dorle Obländer aus Schlüchtern. „Leider habe ich sie erst sehr spät kennenlernen dürfen." Viele Menschen hat die Steinheimerin in den vergangenen Jahren getroffen - durch und mit ihrer Kunst. Egal ob Gleichgesinnte, Kunstinteressierte, Neugierige oder einfach ihre liebevollen Nachbarn: Mit ihrer Galerie am Platz des Friedens verbindet Wilma Roth zahlreiche positive und glückliche Erlebnisse und Erfahrungen. Und die will sie sich nicht nehmen lassen - auch nicht nach ihrer schweren Krebsdiagnose, die sie im Oktober vergangenen Jahres zeitgleich mit ihrer Auszeichnung zur Kulturpreisträgerin des Main-Kinzig-Kreises erhielt. „Auf der einen Seite bekommt man diese unglaublich tolle Nachricht und die Wertschätzung für seine Arbeit und auf der anderen Seite diese Diagnose über eine Krankheit, die nicht heilbar ist. Das war eine schwere Zeit für uns." Der Krankheit aber die Oberhand überlassen, möchte Wilma Roth nicht, dafür ist ihr die Zeit zu schade und die Kunst zu wichtig.
„Ich habe noch so viele Ideen, die ich umsetzen möchte", betont sie optimistisch. Unter anderem sei noch eine gemeinsame Ausstellung mit dem Titel „Die drei Eisheiligen und andere ,scheene Kerle" zum Stadtwirtshaus und Apfelwein geplant, die sie mit zwei weiteren Steinheimer Künstlern bereits 2020 anbieten wollte - pünktlich zum Jubiläum „700 Jahre Stadtrechte Steinheim". Corona machte ihr und ihren Kollegen jedoch einen Strich durch die Rechnung . In meiner Kunst mache ich schon lange nur das, worauf ich Lust habe und womit ich mich amüsieren kann", sagt die Künstlerin und ergänzt: „So lange ich mich gut fühle, mache ich das genau so weiter."

Svenja Denter

 

Informationen zu den Werken finden Interessierte im Internet unter www.wilma-roth.de oder www. galerieamplatzdesfriedens.de. Wilma Roth freut sich auch über Besucheranfragen per E-Mail an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! oder unter Telefon 06181/9456960